Die Hochenergiephysik (Teilchenphysik) beschäftigt sich mit der Frage nach den kleinsten Bausteinen (Teilchen) der Materie und den grundlegenden Kräften zwischen diesen Bausteinen. Die Hoffnung dabei ist, dass es wenige Bausteine und Kräfte gibt, aus denen dann die Materie , die wir beobachten, aufgebaut werden kann, wenn man nur die Gesetzmässigkeiten der Teilchen und Kräfte kennt.
Die
Struktur der Materie:
Die Struktur der
Materie wie sie heute bekannt ist, vom Festkörper bis zum Proton
und
Neutron als Bausteine des Atomkerns ist mit den zugehörigen
Ausdehnungen
in der linken Abbildung gezeigt.
Strukturen
der Materie mit Grössenangaben. Die Abbildung rechts zeigt die
innere
Struktur eines Atoms ( nicht massstabsgetreu)
Die Hochenergiephysik fängt bei der Fragestellung an, wie denn das Proton aufgebaut ist, das zwar nur 10**-15 m gross ist aber dennoch eine innere Struktur haben muss. Ein entscheidender Durchbruch ist 1969-78 gelungen, als experimentell gezeigt werden konnte, dass das Proton (und Neutron) aus drei 'punktförmigen' Teilchen, den Quarks aufgebaut ist: zwei up-Quarks mit elektrischer Ladung 2/3 der Protonladung und einem down-Quark (-1/3 der Protonladung). Damit sind wir auf einer neuen Stufe von Teilchen angekommen, die wir zur Zeit als die 'fundamentalen Bausteine' der Materie ansehen müssen. Alle uns bekannte stabile Materie ist aus Elektronen und up und down Quarks aufgebaut, die alle 'punktförmig' sind, das heisst auch die besten zur Zeit verfügbaren Mikroskope können nur sagen, dass sie kleiner sein müssen als 1/10000 des Protonradius. Die innere Struktur eines Atoms, wie sie heute bekannt ist zeigt die obige Abbildung rechts (nicht massstabsgetreu).
Mikroskope
für kleinste Strukturen:
Das beste zur
Zeit
verfügbare Mikroskop ist der Speicherring HERA am Deutschen
Elektronen
Synchrotron DESY in Hamburg. Hier werden Elektronen auf 30 Milliarden
Elektronvolt
(GeV), Protonen gar auf 920 GeV beschleunigt und treffen dann in 2
Wechselwirkungszonen
frontal aufeinander. Diese hohen Energien werden benötigt, weil
die
Auflösung eines Mikroskops von der Wellenlänge der Strahlung
abhängt und die ist um so kleiner je höher die Energie ist
(Wellenlänge
~ 1/Energie).
Das Photo zeigt einen Blick in den Beschleunigtunnel von HERA, der insgesamt 4.6 km lang ist. Zu sehen sind die Magnete, die den Elektronstrahl (rosa) und den Protonstrahl ( supraleitende Magnete) auf der Ringbahn des Beschleuigers halten. Dazwischen sorgen Hochfrequenzbeschleunigungsstrecken dafür, dass die Teilchen beschleunigt werden. Die beiden Teilchenstrahlen treffen sich an 4 Wechselwirkungspunkten um die herum riesige Detektoren aufgebaut sind. Mit diesen Experimenten lässt sich keine Ausdehnung der Elektronen und Quarks feststellen, das heisst, sie sind kleiner als 10**-18 Meter und damit mindestens 10 Milliarden mal kleiner als ein Atom.
Teilchendetektoren:
Ein Streuereignis
bei HERA zwischen dem Elektron und einem Quark im Proton ist unten
gezeigt,
so wie es einer der Grossdetektoren bei HERA registriert hat.
Elektron-Protonstoss
bei HERA. In der Computerrekonstruktion rechts kommen die Elektronen
von
links, die Protonen von rechts.
Die
roten Spuren zeigen geladene Teilchen in den Spurkammern, Grün und
Orange sind die kalorimeter gezeigt, in denne die entsthenden T
eilchen
voll absorbiert werden. Rot gemalte rechtecke zeigen Detektorzellen in
denen Energie deponiert wurde.
Der Detektor ist um die Zone herum gebaut, in der die Elektronen und Protonen usammenstossen. Er hat die Grösse eines Zweifamilienhauses und wurde von etwa 350 Physikern und Ingenieuren aus 13 Ländern 6 Jahre lang entwickelt und gebaut. Er muss alle Teilchen, die beim Elektron-Proton Stoss entstehen messen und identifizieren. Insgesamt hat er etwa 400000 elektronisch ausgelesene Detektorzellen. Bei der gezeigten Computerrekonstruktion eines registrierten Ereignisses wird ein Elektron um einen grossen Winkel abgelenkt, ebenso das Quark, das aber nicht als einzelnens Teilchen im Detektor erscheint sondern als Teilchenbündel (Jet). Aus der Messung und Analyse vieler Ereignisse dieser Art stammen unsere Kenntnisse über die Struktur des Protons ( und Elektrons) und die Kräfte, die zwischen den fundamentalen Teilchen wirken.
Die
fundamentalen Teilchen und Kräfte:
Up
und down Quark und das Elektron reichen aus um die uns bekannte
stabile Materie aufzubauen. Die Quarks werden durch die starke
Kraft (Kernkraft) zu Protonen und Neutronen gebunden und dann
zu
Atomkernen, die Elektronen werden durch die elektromagnetische
Kraft an den Atomkern gebunden und diese ist auch für die
Bildung
von Molekülen und Festkörpern verantwortlich. Für uns
extrem
wichtig ist allerdings noch ein weiteres Teilchen, das
Neutrino. Dieses Teilchen ist extrem leicht, vielleicht sogar
masselos
und hat ein extremes Durchdringungsvermögen, das heisst z. B. dass
es aus dem Zentrum der Sonne zu uns fliegen kann ohne stecken zu
bleiben.
Die Sonne ist in der Tat die grösste Quelle von Neutrinos auf der
Erde. Sie entstehen bei der Fusion von Wasserstoffkernen (Protonen) zu
Heliumkernen aus der die Sonne ihre Energie bezieht. Die Kraft , die
dafür
verantwortlich ist wird
schwache Kraft genannt.
Wir brauchen also Elektron und Neutrino, die zusammen als Leptonen
bezeichnet
werden und up- und down-Quarks als fundamentale Teilchen.
Die Natur ist allerdings nicht so simpel, sondern hat uns noch eine dicke Überraschung beschert. Sie hat die Quarks und Leptonen gleich in dreifacher Ausfertigung zur Verfügung. Die Physiker sagen, es gibt drei Generationen von Quarks und Leptonen, wie sie in der Graphik dargestellt sind. So hat z.B. das Elektron zwei Verwandte, die sich in nichts zu unterscheiden scheinen als durch ihre Masse. Das Myon, das in der Kosmischen Strahlung häufig vorkommt, ist etwa 200 Mal schwerer als das Elektron, das Tauon 1200 Mal. Genau so gibt es jeweils zwei Verwandte zum Neutrino, zum up und zum down Quark. Das Schwerste Quark, das erst 1994 entdeckt wurde, das Top-Quark, ist 175 Mal schwerer als ein Proton und soll doch 'punktförmig' sein! Niemand versteht bisher, weshalb es alle Teilchen in dreifacher Ausführung gibt. genau so wenig verstehen wir warum die Teilchen so unterschiedliche Massen haben.
Das Standardmodell der Teilchenphysik und die fundamentalen Kräfte:
Das
Standardmodell
ist die Theorie der fundamentalen Bausteine und Kräfte, die alle
experimentell
beobachteten Erscheinungen quantitativ erklärt. Sie basiert auf
'punktförmigen'
Quarks und Leptonen und beschreibt die fundamentalen Kräfte
zwischen
diesen mit Ausnahme der Schwerkraft. Am Wichtigsten ist, dass
alle
Kräfte nach demselben Prinzip wirken: es sind
Austauschkräfte.
Eine Wechselwirkung zwischen zwei Teilchen findet statt indem sie sich
ein Feldteilchen (Feldquant) 'zuwerfen', d.h. ein Teilchen emittiert
ein
Feldquant, das andere absorbiert es wieder.
Jeder weiss aus
eigener Erfahrung, dass man so z.B. durch Hin- und Herwerfen von
Bällen
Energie und Impuls austauschen kann. Jede fundamentale Kraft ist u.a.
durch
seine Feldquanten charakterisiert. Im Falle der elektromagnetischen
Kraft
ist dieses das Photon ( Lichtquant) das an alle Teilchen mit
elektrischer
Ladung koppelt, bei der starken Kraft sind es 8 Gluonen, die wie die
Photonen
ebenfalls masselos sind. Die schwache Kraft hat eine besondere
Überraschung
bereit, ihre Feldquanten sind schwer. Es sind dies ein positiv und ein
negativ geladenes
W-Boson und das
elektrisch neutrale Z Boson, die jeweils ca. 90 Mal schwerer als ein
Proton
sind. Bei der Wechselwirkung zweier Teilchen über die schwache
Kraft
können diese schweren Feldquanten daher nur über sehr kurze
Entfernungen
ausgetauscht werden mit dem Resultat, dass diese Prozesse bei kleinen
Energien
extrem selten sind, daher der Name 'schwache Kraft'. Die Theorie der
starken
Kraft sagt voraus, dass Quarks und Gluonen nicht als freie Teilchen
beobachtbar
sind, also z.B. nicht durch ein Elektron aus dem Proton herausgestreut
werden können weshalb bei HERA ein Teilchenjet im Detektor
nachgewiesen
wird und kein freies Quark.
Die
fundamentalen Kräfte wurden besonders genau am grössten
Beschleuniger
des Europäischen Kernforschungszentrums (CERN) in Genf , dem
Elektron-Positron
Speicherring LEP untersucht der in einem 26 km langen unterirdischen
Tunnel
untergebracht ist (siehe Photo).
Hier wurde das
Standardmodell sehr genau getestet. Insbesondere wurden dort die Z und
W-Bosonen der schwachen Kraft direkt erzeugt und ihre Zerfälle
detailliert
untersucht.Dabei wurde das Standardmodell in allen Punkten präzise
bestätigt, es konnt keinerlei Diskrepanz festgestellt werden.
Erstaunlicherweise
hat dies die Physiker nicht nur begeistert sondern auch in grossem
Masse
frustiert.Der Grund dafür wird am Ende erläutert.
Detektoren
der Teilchenphysik und die Kollaborationen:
Neben dem Bau der
riesigen Beschleuniger besteht eine der Hauptaufgaben der
experimentellen
Teilchenphysiker darin, die Detektoren zum Nachweis der bei einer
Wechselwirkung
entstehenden Teilchen und zur Messung ihrer Eigenschaften zu entwickeln
und zu bauen.
Eine Frontansicht
des ALEPH Detektors bei LEP zeigt die riesigen Dimensionen dieser
Detektoren,
die daher nur von grossen Kollaborationen, die aus Hunderten von
Physikern
aus vielen Instituten und Ländern bestehen, gebaut und betrieben
werden
können wobei Bauzeiten von ca. 6 Jahren für die jetzt
laufenden
Detektoren benötigt wurden. Hochenergiedetektoren sind enorm
komplexe
und komplizierte Instrumente, die häufig Techniken nutzen, die
komerziell
nicht verfügbar und an der Grenze des gerade noch Machbaren
liegen.
Beispiele für aktuelle Detektorentwicklungen aus den Heidelberger
Instituten werden unten vorgestellt. Damit ist das 'esoterische'
Forschungsgebiet
Hochenergiephysik - Grundlagenforschung par Excellence - gleichzeitig
eines
der Gebiete, das technische Innovation in viele hightech Gebieten
vorantreibt.
Die
Zukunft der Hochenergiephysik:
Das
Standardmodell
ist eine grossartige Theorie, die experimentell hervorragend
bestätigt
ist. Sie hat enorme Auswirkungen auf andere Forschungsgebiete gehabt
wie
z.B. die Kernphysik insbesondere aber auf die Astrophysik und
Kosmologie.
Beim Urknall und der nachfolgenden Expansion des Weltalls standen
anfangs
so hohe Energien zur Verfügung, dass aus reiner Energiedichte
sukzessive
Quarks, Elektronen und Neutrinos, dann Protonen und Neutronen,
schliesslich
erste Kerne insbesondere Helium entstanden. Damit hat uns die Natur die
von den Hochenergiephysikern angestrebte Synthese der beobachteten
Materie
aus elementaren Bausteinen vorgemacht. Wichtige Fragen sind aber noch
offen.
So ist noch nicht endgültig geklärt, warum wir in einer Welt
aus Materie und nicht aus Antimaterie leben und noch schlimmer, wir
wissen
nicht, woraus ca. 90% der Masse des Universums besteht! Diese Frage
müssen
ihre Erklärung bei Energien haben, die noch erheblich über
denen
unserer grössten Beschleuniger liegen. Es gibt aber auch
einfachere
Gründe, warum wir das Standadmodell trotz aller Erfolge nicht als
die 'letzte' Theorie betrachten können. Ein Grund besteht darin,
dass
es einfach zu viel 'freie Parameter' hat. Das heisst wir müssen
einfach
postulieren, dass es drei Generationen von Quarks und Leptonen gibt und
ihre Massen, Ladungen etc. einfach messen und festlegen ohne sie
erklären
zu können. Ein anderes Problem besteht darin, dass wir wissen,
dass
die Voraussagen des Standardmodells bei Energien weit oberhalb der
verfügbaren
Beschleunigerenergien einfach nicht mehr richtig sein können. Es
muss
also eine Physik jenseits des Standardmodells geben. Hierzu gibt es
bereits
grossartige theoretische Ansätze , die aber so viele
Möglichkeiten
offen lassen, dass nur neue experimentelle Resultate zeigen können
welchen Weg die Natur gewählt hat.
Es erscheint daher unumgänglich, zu noch höheren Energien zu
gehen um diese neue Physik entwickeln zu können. Der zur Zeit
wichtigste
Schritt in diese Richtung ist der Bau eines neuen Superbeschleunigers
am
CERN in Genf, des Large Hadron Collider (LHC)
in dem Protonen zur Kollision gebracht werden, die eine Energie von
jeweils
14000 GeV - 10 Mal mehr als der leistungsfähigste Beschleuniger
heute-
haben. Dieser Beschleuniger wird in den Ringtunnel von LEP
(obiges
Photo) eingebaut. Es ist der erste Weltbeschleuniger, an dem sich nicht
nur fast alle europäischen Länder beteiligen, sondern auch
die
USA, Kanada, China, Japan und viele andere. Eine wichtige Frage die
dort
aller Voraussicht nach geklärt werden kann ist die nach dem
Ursprung
der Massen der Teilchen. Und wenn auch nur ein kleiner Teil der
theoretischen
Ideen, wie die Physik jenseits des Standardmodells aussehen
könnte,
richtig ist, dann sollte dieser Beschleuniger noch viele andere
Überraschungen
bereit halten und ein Fenster zur neuen Physik aufstossen. Das
Experimentierprogramm
an diesem Beschleuniger soll im Jahre 2007 beginnen.
Zusätzlich
werden neue Beschleunigerprojekte, nämlich Elektron-Positron
Collider
mit Energien oberhalb von 500 GeV, u.a. am DESY, SLAC und in
Japan
geplant.
Seit Sommer 2004 gibt es eine weltweite
Einigung darauf, dass nur eine Maschine gemeinsam gebaut werden soll,
basierend auf supraleitenden Hochfrequenzstrecken.