Experimentelle Hochenergiephysik



Institut für Hochenergiephysik, Physikalisches Institut, MPI für Kernphysik
Forschungsprojekte am DESY (H1, HERAB) und CERN ( ALEPH und OPAL bei LEP, ATLAS und LHCB bei LHC ab 2007)

Die Hochenergiephysik (Teilchenphysik) beschäftigt sich mit der Frage nach den kleinsten Bausteinen  (Teilchen) der Materie und den grundlegenden Kräften zwischen diesen Bausteinen. Die Hoffnung dabei ist, dass es wenige Bausteine und Kräfte gibt, aus denen dann die Materie , die wir beobachten, aufgebaut werden kann, wenn man nur die Gesetzmässigkeiten der Teilchen und Kräfte kennt.

Die Struktur der Materie:
Die Struktur der Materie wie sie heute bekannt ist, vom Festkörper bis zum Proton und Neutron als Bausteine des Atomkerns ist mit den zugehörigen Ausdehnungen in der  linken Abbildung gezeigt.


Strukturen der Materie mit Grössenangaben. Die Abbildung rechts zeigt die innere Struktur eines Atoms ( nicht massstabsgetreu)

Die Hochenergiephysik fängt bei der Fragestellung an, wie denn das Proton aufgebaut ist, das zwar nur 10**-15 m gross ist aber dennoch eine innere Struktur haben muss. Ein entscheidender Durchbruch ist 1969-78 gelungen, als experimentell gezeigt werden konnte, dass das Proton (und Neutron) aus drei 'punktförmigen' Teilchen, den Quarks aufgebaut ist: zwei up-Quarks mit elektrischer Ladung 2/3  der Protonladung und einem down-Quark (-1/3 der Protonladung). Damit sind wir auf einer neuen Stufe von Teilchen angekommen, die wir zur Zeit als die 'fundamentalen Bausteine' der Materie ansehen müssen. Alle uns bekannte stabile Materie ist aus Elektronen und up und down Quarks aufgebaut, die alle 'punktförmig' sind, das heisst auch die besten zur Zeit verfügbaren Mikroskope können nur sagen, dass sie kleiner sein müssen als 1/10000 des Protonradius. Die innere Struktur eines Atoms, wie sie heute bekannt ist zeigt die obige  Abbildung  rechts (nicht massstabsgetreu).

Mikroskope für kleinste Strukturen:
Das beste zur Zeit verfügbare Mikroskop ist der Speicherring HERA am Deutschen Elektronen Synchrotron DESY in Hamburg. Hier werden Elektronen auf 30 Milliarden Elektronvolt (GeV), Protonen gar auf 920 GeV beschleunigt und treffen dann in 2 Wechselwirkungszonen frontal aufeinander. Diese hohen Energien werden benötigt, weil die Auflösung eines Mikroskops von der Wellenlänge der Strahlung abhängt und die ist um so kleiner je höher die Energie ist (Wellenlänge ~ 1/Energie).

Das Photo zeigt einen Blick in den Beschleunigtunnel von HERA, der insgesamt 4.6 km lang ist. Zu sehen sind die Magnete, die den Elektronstrahl (rosa) und den Protonstrahl ( supraleitende Magnete) auf der Ringbahn des Beschleuigers halten. Dazwischen sorgen Hochfrequenzbeschleunigungsstrecken dafür, dass die Teilchen beschleunigt werden. Die beiden Teilchenstrahlen treffen sich an 4 Wechselwirkungspunkten um die herum riesige Detektoren aufgebaut sind. Mit diesen Experimenten lässt sich keine Ausdehnung der Elektronen und Quarks  feststellen, das heisst, sie sind   kleiner als 10**-18 Meter und damit mindestens 10 Milliarden mal kleiner als ein Atom.

Teilchendetektoren:
Ein Streuereignis bei HERA zwischen dem Elektron und einem Quark im Proton ist unten gezeigt, so wie es einer der Grossdetektoren bei HERA registriert hat.

Elektron-Protonstoss bei HERA. In der Computerrekonstruktion rechts kommen die Elektronen von links, die Protonen von rechts.
Die roten Spuren zeigen geladene Teilchen in den Spurkammern, Grün und Orange sind die kalorimeter gezeigt, in denne die entsthenden T
eilchen voll absorbiert werden. Rot gemalte rechtecke zeigen Detektorzellen in denen Energie deponiert wurde.

Der Detektor ist um die Zone herum gebaut,  in der die Elektronen und Protonen usammenstossen. Er hat die Grösse eines Zweifamilienhauses und wurde von etwa 350 Physikern und Ingenieuren aus 13 Ländern 6 Jahre lang entwickelt und gebaut. Er muss alle Teilchen, die beim Elektron-Proton Stoss entstehen messen und identifizieren. Insgesamt hat er etwa 400000 elektronisch ausgelesene Detektorzellen. Bei der gezeigten Computerrekonstruktion eines registrierten Ereignisses wird ein Elektron um einen grossen Winkel abgelenkt, ebenso das Quark, das aber nicht als einzelnens Teilchen im Detektor erscheint sondern als Teilchenbündel (Jet). Aus der Messung und Analyse vieler Ereignisse dieser Art stammen unsere Kenntnisse über die Struktur des Protons ( und Elektrons) und die Kräfte, die zwischen den fundamentalen Teilchen wirken.

Die fundamentalen Teilchen und Kräfte:
Up und down Quark und das Elektron reichen aus um die uns bekannte stabile Materie aufzubauen. Die Quarks werden durch die starke Kraft (Kernkraft) zu Protonen und Neutronen gebunden und dann zu Atomkernen, die Elektronen werden durch die elektromagnetische Kraft an den Atomkern gebunden und diese ist auch für die Bildung von Molekülen und Festkörpern verantwortlich. Für uns extrem wichtig ist allerdings noch ein weiteres Teilchen, das Neutrino. Dieses Teilchen ist extrem leicht, vielleicht sogar masselos und hat ein extremes Durchdringungsvermögen, das heisst z. B. dass es aus dem Zentrum der Sonne zu uns fliegen kann ohne stecken zu bleiben. Die Sonne ist in der Tat die grösste Quelle von Neutrinos auf der Erde. Sie entstehen bei der Fusion von Wasserstoffkernen (Protonen) zu Heliumkernen aus der die Sonne ihre Energie bezieht. Die Kraft , die dafür verantwortlich ist wird schwache Kraft genannt. Wir brauchen also Elektron und Neutrino, die zusammen als Leptonen bezeichnet werden und up- und down-Quarks als fundamentale Teilchen.

Die Natur ist allerdings nicht so simpel, sondern hat uns noch eine dicke Überraschung beschert. Sie hat die Quarks und Leptonen gleich in dreifacher Ausfertigung zur Verfügung. Die Physiker sagen, es gibt drei Generationen von Quarks und Leptonen, wie sie in der Graphik dargestellt sind. So hat z.B. das Elektron zwei Verwandte, die sich in nichts zu unterscheiden scheinen als durch ihre Masse. Das Myon, das in der Kosmischen Strahlung häufig vorkommt, ist etwa 200 Mal schwerer als das Elektron, das Tauon 1200 Mal. Genau so gibt es jeweils zwei Verwandte zum Neutrino, zum up und zum down Quark. Das Schwerste Quark, das erst 1994 entdeckt wurde, das Top-Quark, ist 175 Mal schwerer als ein Proton und soll doch 'punktförmig' sein! Niemand versteht bisher, weshalb es alle Teilchen in dreifacher Ausführung gibt. genau so wenig verstehen wir warum die Teilchen so unterschiedliche Massen haben.

 Das Standardmodell der Teilchenphysik und die fundamentalen Kräfte:

Das Standardmodell ist die Theorie der fundamentalen Bausteine und Kräfte, die alle experimentell beobachteten Erscheinungen quantitativ erklärt. Sie basiert auf 'punktförmigen' Quarks und Leptonen und beschreibt die fundamentalen Kräfte zwischen diesen mit Ausnahme der Schwerkraft.  Am Wichtigsten ist, dass alle Kräfte nach demselben Prinzip wirken: es sind Austauschkräfte. Eine Wechselwirkung zwischen zwei Teilchen findet statt indem sie sich ein Feldteilchen (Feldquant) 'zuwerfen', d.h. ein Teilchen emittiert ein Feldquant, das andere absorbiert es wieder.

Jeder weiss aus eigener Erfahrung, dass man so z.B. durch Hin- und Herwerfen von Bällen Energie und Impuls austauschen kann. Jede fundamentale Kraft ist u.a. durch seine Feldquanten charakterisiert. Im Falle der elektromagnetischen Kraft ist dieses das Photon ( Lichtquant) das an alle Teilchen mit elektrischer Ladung koppelt, bei der starken Kraft sind es 8 Gluonen, die wie die Photonen ebenfalls masselos sind. Die schwache Kraft hat eine besondere Überraschung bereit, ihre Feldquanten sind schwer. Es sind dies ein positiv und ein negativ geladenes 
W-Boson und das elektrisch neutrale Z Boson, die jeweils ca. 90 Mal schwerer als ein Proton sind. Bei der Wechselwirkung zweier Teilchen über die schwache Kraft können diese schweren Feldquanten daher nur über sehr kurze Entfernungen ausgetauscht werden mit dem Resultat, dass diese Prozesse bei kleinen Energien extrem selten sind, daher der Name 'schwache Kraft'. Die Theorie der starken Kraft sagt voraus, dass Quarks und Gluonen nicht als freie Teilchen beobachtbar sind, also z.B. nicht durch ein Elektron aus dem Proton herausgestreut werden können weshalb bei HERA ein Teilchenjet im Detektor nachgewiesen wird und kein freies Quark.
   Die fundamentalen Kräfte wurden besonders genau am grössten Beschleuniger des Europäischen Kernforschungszentrums (CERN) in Genf , dem Elektron-Positron Speicherring LEP untersucht der in einem 26 km langen unterirdischen Tunnel untergebracht ist (siehe Photo).
Hier wurde das Standardmodell sehr genau getestet. Insbesondere wurden dort die Z und W-Bosonen der schwachen Kraft direkt erzeugt und ihre Zerfälle detailliert untersucht.Dabei wurde das Standardmodell in allen Punkten präzise bestätigt, es konnt keinerlei Diskrepanz festgestellt werden. Erstaunlicherweise hat dies die Physiker nicht nur begeistert sondern auch in grossem Masse frustiert.Der Grund dafür wird am Ende erläutert.

Detektoren der Teilchenphysik und die Kollaborationen:
Neben dem Bau der riesigen Beschleuniger besteht eine der Hauptaufgaben der experimentellen Teilchenphysiker darin, die Detektoren zum Nachweis der bei einer Wechselwirkung entstehenden Teilchen und zur Messung ihrer Eigenschaften zu entwickeln und zu bauen.

Eine Frontansicht des ALEPH Detektors bei LEP zeigt die riesigen Dimensionen dieser Detektoren, die daher nur von grossen Kollaborationen, die aus Hunderten von Physikern aus vielen Instituten und Ländern bestehen, gebaut und betrieben werden können wobei Bauzeiten von ca. 6 Jahren für die jetzt laufenden Detektoren benötigt wurden. Hochenergiedetektoren sind enorm komplexe und komplizierte Instrumente, die häufig Techniken nutzen, die komerziell nicht verfügbar und an der Grenze des gerade noch Machbaren liegen. Beispiele für aktuelle Detektorentwicklungen aus den Heidelberger Instituten werden unten vorgestellt. Damit ist das 'esoterische' Forschungsgebiet Hochenergiephysik - Grundlagenforschung par Excellence - gleichzeitig eines der Gebiete, das technische Innovation in viele hightech Gebieten vorantreibt.

Die Zukunft der Hochenergiephysik:
Das Standardmodell ist eine grossartige Theorie, die experimentell hervorragend bestätigt ist. Sie hat enorme Auswirkungen auf andere Forschungsgebiete gehabt wie z.B. die Kernphysik insbesondere aber auf die Astrophysik und Kosmologie. Beim Urknall und der nachfolgenden Expansion des Weltalls standen anfangs so hohe Energien zur Verfügung, dass aus reiner Energiedichte sukzessive Quarks, Elektronen und Neutrinos, dann Protonen und Neutronen, schliesslich erste Kerne insbesondere Helium entstanden. Damit hat uns die Natur die von den Hochenergiephysikern angestrebte Synthese der beobachteten Materie aus elementaren Bausteinen vorgemacht. Wichtige Fragen sind aber noch offen. So ist noch nicht endgültig geklärt, warum wir in einer Welt aus Materie und nicht aus Antimaterie leben und noch schlimmer, wir wissen nicht, woraus ca. 90% der Masse des Universums besteht! Diese Frage müssen ihre Erklärung bei Energien haben, die noch erheblich über denen unserer grössten Beschleuniger liegen. Es gibt aber auch einfachere Gründe, warum wir das Standadmodell trotz aller Erfolge nicht als die 'letzte' Theorie betrachten können. Ein Grund besteht darin, dass es einfach zu viel 'freie Parameter' hat. Das heisst wir müssen einfach postulieren, dass es drei Generationen von Quarks und Leptonen gibt und ihre Massen, Ladungen etc. einfach messen und festlegen ohne sie erklären zu können. Ein anderes Problem besteht darin, dass wir wissen, dass die Voraussagen des Standardmodells bei Energien weit oberhalb der verfügbaren Beschleunigerenergien einfach nicht mehr richtig sein können. Es muss also eine Physik jenseits des Standardmodells geben. Hierzu gibt es bereits grossartige theoretische Ansätze , die aber so viele Möglichkeiten offen lassen, dass nur neue experimentelle Resultate zeigen können welchen Weg die Natur gewählt hat.

     Es erscheint daher unumgänglich, zu noch höheren Energien zu gehen um diese neue Physik entwickeln zu können. Der zur Zeit wichtigste Schritt in diese Richtung ist der Bau eines neuen Superbeschleunigers am CERN in Genf, des Large Hadron Collider (LHC) in dem Protonen zur Kollision gebracht werden, die eine Energie von jeweils 14000 GeV - 10 Mal mehr als der leistungsfähigste Beschleuniger heute- haben. Dieser Beschleuniger wird in den Ringtunnel von LEP  (obiges Photo) eingebaut. Es ist der erste Weltbeschleuniger, an dem sich nicht nur fast alle europäischen Länder beteiligen, sondern auch die USA, Kanada, China, Japan und viele andere. Eine wichtige Frage die dort aller Voraussicht nach geklärt werden kann ist die nach dem Ursprung der Massen der Teilchen.  Und wenn auch nur ein kleiner Teil der theoretischen Ideen, wie die Physik jenseits des Standardmodells aussehen könnte, richtig ist, dann sollte dieser Beschleuniger noch viele andere Überraschungen bereit halten und ein Fenster zur neuen Physik aufstossen. Das Experimentierprogramm an diesem Beschleuniger soll  im Jahre 2007 beginnen. Zusätzlich werden neue Beschleunigerprojekte, nämlich Elektron-Positron Collider mit Energien oberhalb von 500 GeV,  u.a. am DESY, SLAC und in Japan geplant. Seit Sommer 2004 gibt es eine weltweite Einigung darauf, dass nur eine Maschine gemeinsam gebaut werden soll, basierend auf supraleitenden Hochfrequenzstrecken.