Was geschieht, wenn das
Energieangebot kleiner als der Energiebedarf wird?
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Hinweis: Seit ich dieses Kapitel geschrieben
habe, spielen in den USA die unkonventionellen
Energieträger eine immer größere Rolle und
mancher ist vielleicht versucht zu glauben, das Ende
jeder Energiekrise sei in Sicht. Dem ist aber nicht so,
höchstens hat sich der Zeitpunkt einer Energiekrise ein
wenig in die Zukunft verschoben. Und daher ist dieses
Kapitel noch immer von grundlegender Bedeutung (siehe
auch Fußnote 1)).
Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass die fossilen
Energiequellen , welche z.Z. noch die Hauptlast unserer
Energieversorgung tragen, in nicht allzu ferner Zukunft
versiegen werden. Dies muss und wird Auswirkungen auf die
menschliche Gesellschaft haben, die Frage ist nur, welche.
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Machen wir uns zunächst
klar, dass Energie die Grundlage
für unseren Wohlstand ist. Welches sind dann die Ursachen
für den stetig steigenden
Bedarf nach Primärenergie ? Das habe ich in Energie2
ausführlich dargelegt, es gibt es im Wesentlichen zwei
Ursachen:
- Die rapide Bevölkerungszunahme in den we-Ländern,
- das starke wirtschaftliche Wachstum in den we-Ländern, das
notwendig ist, damit sich der wirtschaftliche Abstand
dieser Länder zu den ve-Ländern langsam verringert.
Falls eine Energieverknappung eintritt, wird sich diese
natürlich zu allererst an ihren Auswirkungen auf diese
Ursachen bemerkbar machen. Denn immerhin sind dies die
eigentlichen Ursachen für die bald zu erwartende
Energieverknappung. Wie die Auswirkungen aussehen könnten,
das wollen wir anhand von Modellrechnungen studieren.
Ähnliche Rechnungen wurden bereits in Energie2 durchgeführt.
Die Grundlage für alle Modelle bildet die Annahme, dass
die Bevölkerungszahl nicht auf beliebige Werte ansteigen
kann, weil die Beschränktheit der Ressourcen auf der Erde
dies nicht zulässt. Daher muss sich die relative Zunahme
der Weltbevölkerung zu einem gewissen Zeitpunkt ins
Negative kehren, die Frage ist allein, wodurch dieser
Zeitpunkt bestimmt ist. In Energie2 wurde er
bestimmt durch das Erreichen der optimalen
Bevölkerungszahl, jetzt werden wir angesichts der
Energiekrise annehmen, dass der Zeitpunkt dadurch gegeben
wird, dass der Primärenergiebedarf der Menschheit einen
optimalen Wert überschreitet. Wie in Kap. 1 gezeigt, ergeben
unsere Prognosen ab dem Jahr 2020 ein zunehmendes
Energiedefizit oberhalb eines jährlichen
Primärenergiebedarfs von 12.5 · 1013 kWh a-1,
für das nach heutigem Kenntnisstand keine Deckung besteht.
Wir behandeln diesen Wert als optimalen Energiebedarfswert
PEB0,
bei dessen Überschreiten ein Mechanismus für die Abnahme
des Bevölkerungszuwachses sorgt. Wie sich der tatsächliche
Energiebedarf dann in den folgenden Jahren wirklich
entwickelt, hängt von den Rahmenbedingungen ab.
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Die wichtigste Rahmenbedingung
beinhaltet die Annahme, dass zwei hypothetische
Gesellschaften mit dem Index ve bzw. we
existieren, deren soziologische Daten sich
unterscheiden und auch unterschiedlich entwickeln.
Wie diese Daten im Ausgangsjahr 2000 aussahen, das
ist in der Tabelle auf der rechten Seite gezeigt.
Natürlich sind diese Gesellschaften den
tatsächlich existierenden ve-Ländern
und we-Ländern
nachgebildet,
trotzdem handelt es sich um Modellgesellschaften,
deren Entwicklung während des 21. Jahrhunderts
berechnet werden soll.
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ve-Gesellschaft
|
we-Gesellschaft
|
Bevölkerungszahl
n
(Mrd)
|
1.5
|
4.5
|
Bruttoinlandprodukt
pro
Person BIP
(Tsd US$ a-1)
|
20
|
1
|
relative Zunahme
des Bruttoinlandprodukts pro Jahr (a-1)
|
1%
|
3%
|
Anzahl der
Lebendgeburten pro Paar nb
|
2
|
6
|
Lebenserwartung
(a)
|
75
|
60
|
Soziologische
Daten der beiden Modellgesellschaften im Jahr
2000.
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Ohne Rechnung erkennt man aus diesen Daten unmittelbar,
dass die Bevölkerungszahl der ve-Gesellschaft sich nicht verändern
sollte, weil die Anzahl der Lebendgeburten pro Paar genau
2 beträgt. In der we-Gesellschaft
dagegen würde die Bevölkerungszahl exponentiell ansteigen,
wenn nicht das Überschreiten der Grenze des optimalen
Energiebedarfs dies verhindern würde. Die tatsächliche
Entwicklung wird daher beschrieben durch ein System von
gekoppelten Differentialgleichungen2):
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Bevölkerungsrate
|
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i
= ve,
we
|
Wohlstandsrate
|
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|
Geburts-/
Sterberate
|
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r 1
|
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r
> 1
|
 |
Kopplung
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(*)
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Der
wichtige Teil in diesem Gleichungssystem ist die
Kopplung (*), die verhindert, dass sich beide
Gesellschaften unabhängig voneinander entwickeln
und die bewirkt, dass diese Entwicklung nicht
exponentiell verläuft. Wie stark der
Kopplungsparameter r die Entwicklung beeinflusst,
wird durch die Proportionalitätsfaktoren und bestimmt. Es ist
immer = 0 angenommen, aber der Wert von definiert zwei
mögliche, unterschiedliche Entwicklungen:
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- Falls die Auswirkungen der Energieverknappung beide
Gesellschaften in gleichem Maß beeinflussen, ist
= = 10
a-1.
- Falls jedoch die Auswirkungen der Energieverknappung
die we-Gesellschaft
viel stärker trifft als die ve-Gesellschaft, ist
= 100 a-1, = 10 a-1.
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Die Resultate, die sich mit diesen beiden
Entwicklungsmöglichkeiten für jede der beiden
Modellgesellschaften ergeben, sind in den Bildern unten
dargestellt.
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Die Entwicklung1) der
Bevölkerungszahl und des Primärenergiebedarfs, wenn
die Energieverknappung ve- und we-Gesellschaft gleich
stark trifft (links), und wenn
die Auswirkungen auf die we-Gesellschaft wesentlich
stärker
als auf die ve-Gesellschaft sind (rechts).
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Die entscheidenden
Ergebnisse, die aus den Modellrechnungen erkennbar werden,
sind die folgenden:
Falls
die
Energieverknappung beide Gesellschaften
gleichermaßen trifft, wird die Gesellschaft mit
der geringeren Anzahl von Lebendgeburten pro Paar
immer unterliegen im Kampf um die Energie. |
Dieses Ergebnis hätte man mit einigem Nachdenken auch ohne
die Rechnungen erzielen können. Was dagegen am Ergebnis
der Rechnungen überrascht ist die Tatsache, dass unter den
vorgegebenen Rahmenbedingungen dies innerhalb von nur 100
Jahren zur fast vollständigen Extinktion der ve-Gesellschaft
führt.3) Und obwohl die Gesamtbevölkerungszahl
nach etwa der Hälfte dieser Zeit wieder abnimmt, steigt
ihr Primärenergiebedarf weiterhin an, wenn auch nur noch
langsam, und erreicht nach 100 Jahren einen Wert, der um
fast das 1.4fache größer ist als der optimale Wert.
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Es ist kaum vorstellbar,
dass die ve-Gesellschaft
diese berechnete Entwicklung widerstandslos hinnehmen
wird. Die Gegenmaßnahmen werden sozio-politischer Natur
sein, sie beginnen mit der Fähigkeit, höhere Energiekosten
leichter zahlen zu können, reichen über einer
"Grenze-dicht-Politik" (welche den Lebensraum der we-Gesellschaft
einschränkt) bis hin zu einem aktiven Kampf um Energie
(welcher sich aufgrund der technologischen Vormacht der ve-Gesellschaft
anbietet). Darüber hinaus ist zu vermuten, dass die
Umweltveränderungen die we-Gesellschaft
wesentlich
härter treffen werden und diese sich (aufgrund ihrer
geografischen Lage und technologischen Unterlegenheit)
Veränderungen schlechter anpassen können. Insofern ist es
nicht abwegig anzunehmen, dass die Entwicklung beider
Gesellschaften auch der zweiten Möglichkeit folgen könnte.
Eine
zukunftsfähige
Entwicklung ist nur dann möglich, wenn beide
Gesellschaften sich angleichen, wobei die
Hauptlast des Angleichungsprozesses von der
Gesellschaft mit der größeren Anzahl von
Lebendgeburten pro Paar zu erbringen sein wird.
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In diesem Fall würde der weltweite Primärenergiebedarf
etwa konstant in der Nähe des optimalen Werts PEB0
verharren und die weltweiten
Vorräte an fossilen Energien würden etwa bis zum
Jahr 2080 reichen. Aus der Kürze dieser Zeit wird noch
einmal deutlich, vor welchen enormen Problemen beide
Gesellschaften (d.h. die Weltbevölkerung) stehen4).
Wird es gelingen, innerhalb dieses Zeitraums neue
Energiequellen zu erschließen, welche die fossilen Quellen
vollständig ersetzen können? Und falls dies unmöglich ist,
wird eine Anpassung ohne Schwierigkeiten gelingen, die ja
eine Weltbevölkerung von nur ca. 4 Mrd Menschen im Jahr
2100 zulässt1)?
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1) Die
hier durchgeführten Rechnungen beziehen sich auf Modellgesellschaften,
sie zeigen nur das prinzipielle Verhalten solcher
Gesellschaften, beschreiben also nicht die tatsächliche
Entwicklung der existierenden ve- bzw, we-Länder.
Da sich der Leser vielleicht an dem Modellcharakter stört,
habe ich die Rechnungen noch einmal in einem Sonderkapitel
durchgeführt, diesmal mit Eingangsparametern, welche der
Realität näher kommen und daher vielleicht auch der
tatsächlich zu erwartenden Entwicklung besser entsprechen.
2) Die Größen in diesem Gleichungssystem sind,
wenn nicht hier, dann in Energie2
definiert. Bei der Energieeffizienz e_e = 1/ sind Änderungen vorgenommen worden,
damit die Abweichungen zwischen Daten und Prognosen
(siehe Kap. 1)
geringer werden. Diese betreffen im Wesentlichen die
Zeitabhängigkeit: Der Faktor im Exponenten wurde von 0.01
auf den Wert 0.005 halbiert.
3) Tatsächlich dauert die Extinktionszeit etwas
länger, weil eine 2. Zeitskala existiert ( Lebenszeit), die
in diesem einfachen Modell nicht berücksichtigt wurde.
4) Es ist voraussehbar, dass eine Mehrheit
lieber die Augen schließt vor den niederschmetternden
Ergebnissen dieser Rechnungen, als sich mit ihren
Konsequenzen ernsthaft auseinanderzusetzen. Aber immerhin
hat die Kommission der EU im Jahr 2007 Energierichtlinien
definiert, um eine Energiekrise in der EU zu vermeiden.
Ein Teil dieser Richtlinien hat eine Verbilligung der
Energiekosten durch staatliche Eingriffe zum Ziel. Wie
eine Verbilligung der Energiekosten und staatlicher
Dirigismus helfen können, die Energieprobleme Europas zu
lösen, ist nicht erkenntlich. Und ob die restlichen
Richtlinien die EU vor einer zukünftigen
Energiekrise bewahren werden, muss man ebenfalls
bezweifeln, obwohl die Nutzung der Kernenergie befürwortet
wird. Im Rahmen der deutschen Energiepolitik ist nicht
einmal das möglich.
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