Gemäß der theoretischen
Modellierung wird der Ölpreis u.a. bestimmt durch
die Menge des vollwertigen Gelds Gv, also durch den realen
Wohlstand, für den die Ökonomie i.A. als Maß
das jährliche Bruttoinlandprodukt BIP der Welt verwendet.
Diese Abhängigkeit wird in dem oben genannten Kapitel
beschrieben durch die Gleichung (1), mit deren Hilfe sich
die relativen Veränderungen des Ölpreises K ergeben zu
|dK/K|
= |dGv/Gv| + |dWv/Wv|.
Die Größe Wv
bezeichnet die jährlich vorhandene und nutzbare Menge
an Erdöl. Aus dieser Beziehung wird ersichtlich, dass
die relative Veränderung des Ölpreises OP etwa proportional
zur relativen Veränderung des BIP ist, falls |dWv/Wv| <<
|dGv/Gv| gilt. In
den Zeiten einer maximalen Erdölförderung ist
diese Bedingung erfüllt. Nach Kap. 2.2
in Energie3 wurde dieser Zeitpunkt im Jahr 2008 erreicht.
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Für den Vergleich mit
der tatsächlichen Entwicklung müssen einige
Definitionen vorgenommen werden:
1. Wachstum
Mit dem Wachstum einer
Größe X
ist die jährliche Veränderung dieser
Größe gemeint, also
Das Wachstum des Jahres i
ist daher normiert auf die Größe Xi-1 des Vorjahrs i-1. Der Mittelwert des
Wachstums ergibt sich zu
Falls n=10, handelt es sich um den dekadischen Mittelwert.
2. Normiertes
Wachstum
Das normierte Wachstum ist das
Wachstum relativ zum Mittelwert von , also
Für den Vergleich von verschiedenen Größen X mit sehr
verschiedenen Wertebereichen sind allein die entsprechenden
angemessen, denn die entsprechenden
, und damit , unterscheiden sich stark. Dagegen gilt
für den Mittelwert von immer = 0.
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Für unseren Wohlstand
(das globale Bruttoinlandprodukt BIP) und den Erdölpreis OP sollte man nach den
Ergebnissen des Kap. 2.1 folgende Korrelationen
erwarten:
- In den Zeiten vor dem Erreichen des
Fördermaximums sollte in gleichen Zeiträumen
gelten
für
BIP
>
für OP, |
denn der Ölpreis ist nahezu konstant ( (OP)
0), dagegen steigt der Wohlstand
an ( (BIP) > 0).
- In den Zeiten nach dem Erreichen des
Fördermaximums sollte in gleichen Zeiträumen
gelten
für
BIP
<
für OP, |
denn der Wohlstand erreicht seinen maximalen Wert ( (BIP) 0),
dagegen steigt der Ölpreis an ( (OP)
> 0).
Für
den
Nachweis der Existenz dieser Zusammenhänge habe
ich den dekadischen Mittelwert1)
verwendet. Es wurden 6 Dekaden ausgewählt. In
der Tabelle unten sind diese und die Ergebnisse
für den realen Erdölpreis und das reale
Bruttoinlandprodukt gezeigt. Letzteres ist getrennt
aufgeführt für die voll entwickelten (ve) und die
weniger entwickelten (we) Länder, zusammen mit dem
Welt-Bruttoinlandprodukt. Die benötigten Daten
wurden den Statistiken der EIA
(OP) und
der Weltbank
(BIP)
entnommen, für letztere existieren die Daten
nur seit 1970.
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Dekade
|
1
1951 - 1960
|
2
1961 - 1970
|
3
1971 - 1980
|
4
1981 - 1990
|
5
1991 - 2000
|
6
2001 - 2010
|
realer
OP |
-0.94% |
-1.65% |
+15.35% |
-1.46% |
+4.79% |
+11.56% |
reales BIP
|
Welt
|
|
|
+3.72% |
+3.21% |
+2.77% |
+2.61% |
|
ve-Länder
|
|
|
+3.35%
|
+3.12%
|
+2.57%
|
+1.40%
|
|
we-Länder
|
|
|
+5.81%
|
+3.59%
|
+4.85%
|
+5.60%
|
Die dekadischen Mittelwerte für des Wachstum des realen
Erdölpreises OP und des realen
Bruttoinlandprodukts BIP für die Welt (schwarz),
die voll entwickelten Länder ve (rot) und die
weniger entwickelten Länder we (grün).
Die Daten in den rot unterlegten Zellen sind stark
durch untypische Ereignisse beeinflusst (siehe Text).
Das ins Auge stechende Ergebnis in dieser Tabelle ist die
Erdölpreisveränderung um = 15.35% für die 3. Dekade. In diesen
10 Jahren ereigneten sich zwei Erdölkrisen, die 1. in
den Jahren 1973/74, die 2. in den Jahren 1979/80.
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Die Ursache für die 1.
Krise war der Jom-Kippur-Krieg, in dessen Folge die
OPEC-Staaten die Erdölförderung um ca. 5%
drosselten und westliche Staaten mit einem Erdölembargo
belegten. Der Erdölpreis stieg daraufhin zwischen
1973/74 um 62%.
Die Ursache für die 2. Krise war die iranische
Revolution mit der Verstaatlichung der iranischen
Erdölindustrie, der westliche Länder
befürchten ließ, alle arabischen Länder
könnten diesem Beispiel folgen. Darauf hin stieg
der Erdölpreis zwischen 1978/80 um 103%.
Beide Ereignisse hatten nichts mit der Verknappung der
Erdölreserven zu tun, sondern waren rein politisch
bedingt. Sie passen daher nicht in das Schema, welches die
Grundlage für die Untersuchungen in Kap. 2.1 bildete
und das eine prinzipielle Verknappung der Erdölreserven
voraussetzt. Daher ist es naheliegend, die 3. Dekade in der
Entwicklung der Ölpreise nicht zu betrachten. Denn die
Entwicklung in allen anderen Dekaden folgt dem erwarteten
Trend: Das Wachstum des Erdölpreises überholt den
des Bruttoinlandprodukts, und zwar in der 5. und 6. Dekade
von 1991 bis 2010, und davor war es nahe null2).
In Realität wurde der Kreuzungspunkt, der durch eine
maximale Erdölförderung gekennzeichnet ist,
vermutlich erst in der 6. Dekade, nämlich 2008
beobachtet. Aber diese Abweichung, wie auch andere,
ließen sich durchaus mit den Vereinfachungen
erklären, die in Kap. 2.1 vorgenommen wurden.
In dieser Analyse der Daten wurden die dekadischen
Mittelwerte benutzt, das jährliche Wachstum des
Bruttoinlandprodukts (BIP), wie auch des
Erdölpreises (OP)
schwankt aber um diese Mittelwerte. Um beide
Fluktuationen sichtbar zu machen und vergleichen zu
können, zeigt die Abbildung rechts das
normierte Wachstum eines Jahrs für das reale BIP und den
realen OP.
Was wir dort beobachten, ist eine Antikorrelation in
den Fluktuationen dieser beiden Größen:
Einer Zeit mit einem Anstieg der Erdölpreise
folgt eine Zeit mit negativem, normierten Wachstum
des BIP.
Diese Perioden sind in der Abbildung rechts
gekennzeichnet durch schwarze Balken mit den Nummern
1 bis 5, den Zeiten einer wirtschaftlichen
Rezession.
Die beobachteten Antikorrelationen in den Perioden 1
bis 4 scheinen zu belegen, dass Rezessionen immer
die Folge einer Verteuerung des Erdöls waren.
Allerdings ist die statistische Signifikanz dieses
Resultats relativ gering, wie sich mithilfe der
Kreuzkorrelation zwischen BIP und OP erkennen lässt. Auf
dieses Analyseverfahren wird im nächsten Kapitel
genauer eingegangen, für den augenblicklichen
Fall ist das Ergebnis in der Abbildung rechts
dargestellt: Die Antikorrelation ist als Minimum der
Kreuzkorrelationsfunktion bei einer Zeitverschiebung
von ca. 1.5 a zu erkennen, mit einem gefitteten Wert
von nur R -0.5 ist dieses Minimum
aber nicht sehr ausgeprägt. Zusammen mit der
ähnlichen Analyse im nächsten Kapitel
ergäbe sich auch die Schlussfolgerung, dass die
Erhöhungen der Erdölpreise immer einer
Verknappung des Ölangebots vorausgingen
und nicht folgten. Daher liegt die Vermutung nahe,
dass
die Erdölpreise, wenigstens bis zum Anfang des
21. Jahrhunderts, von äußeren Ereignissen
bestimmt waren (z.B. von den Preisabsprachen des
OPEC-Kartells) und nicht ein direktes Abbild des
Energiemarkts vermittelten.
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Das normierte
Wachstum des jährlichen BIP (rote Balken) und
des OP (blaue Linie) im Zeitraum von 1970 bis
2010.
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Die
Kreuzkorrelation von BIP und OP aus der der
Abbildung oben. Ist die Zeitverschiebung positiv,
ist die Veränderung
von BIP
eine Folge der Veränderung
von OP. Ist die Zeitverschiebung aber negativ, ist
die Veränderung von BIP
die Ursache für die Veränderung von OP.
Die rote Kurve zeigt die Anpassung an das Minimum
mithilfe einer Gaussfunktion.
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Was immer auch die Schwankungen der Erdölpreise
verursacht hat, die Antikorrelation zwischen OP und BIP und
ihr zeitlicher Zusammenhang sind schlagende Beweise für
die in Kap. 2.1
dargelegte enge Korrespondenz zwischen Wohlstand und
Energie. Auf der anderen Seite erscheint mir die letzte
Rezession 5 nicht allein verursacht durch eine
Ölpreisanstieg. Dieser war mit 38% zwischen den Jahren
2007/08 relativ klein. Der eigentliche Auslöser
für diese Rezession war wahrscheinlich die Finanzkrise,
auf die in einem späteren
Kapitel eingegangen wird. Der Ölpreisanstieg hat
nur geholfen und diese Rezession zu der stärksten im
betrachteten Zeitraum von 1970 bis 2010 gemacht. Ich komme
auf andere mögliche Gründe für diese und
ähnliche Rezessionen später noch einmal zu
sprechen.
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Weitere Information
erhält man nämlich aus dem Vergleich der
Wohlstandsentwicklungen in den ve- und we-Ländern.
Dazu sollte zunächst bemerkt werden, dass im Jahr 2000
der Pro-Kopf-Wohlstand in den ve-Ländern etwa 20mal
höher war als in den we-Ländern. Falls
dieser Unterschied mit der Zeit geringer werden soll, dann
müssen die ve-Länder
ein größeres wirtschaftliches Wachstum aufweisen
als die we-Länder.
Dies ist
in der Tat der Fall, wie aus der Abbildung rechts zu
erkennen ist, welche das Wachstum des BIP für
beide Länderkategorien vergleicht (siehe auch
die Tabelle oben). Bestand in der 1. Dekade der
Wachstumsunterschied nur in einem Faktor 1.7, so war
er in der 6. Dekade bereits auf einen Faktor 4
angestiegen. Die we-Länder erreichten
während des betrachteten Zeitraums ein
wirtschaftliches Wachstum von
5% und wuchsen damit fast doppelt so stark, wie ich
für Prognosen in meinem Buch
angenommen hatte. Vermutlich ist dies einer der
Gründe, warum auch der globale Energiebedarf stärker
gestiegen ist, als ich berechnet hatte.
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Das
wirtschaftliche Wachstum von ve(rot)- und
we(grün)-Ländern.
Die
schwarzen Balken kennzeichnen die Zeiten
wirtschaftlicher Rezessionen.
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Für unsere Diskussion interessanter ist aber die
Tatsache, dass die Wirtschaft in den we-Ländern nicht
so empfindlich auf den Anstieg des Ölpreises zu
reagieren scheint, wie dies in den ve-Ländern der Fall
war. Das ist besonders offensichtlich im Jahr 2009, in dem
die ve-Länder ein negatives Wachstum von = -4,1% erzielten, während das
Wachstum der we-Länder weiterhin positiv war und bei = + 2.7% lag. Einer der möglichen
Gründe ist schon erwähnt worden: Die Finanzkrise
war im Wesentlichen nur eine Angelegenheit der hoch
industrialisierten Länder. Es gibt aber noch andere
mögliche Gründe: Einer ist, dass die
we-Länder in der Lage sind, für Energie
höhere Preise zu zahlen, als das den ve-Ländern
möglich ist. Dies kann an den verschiedenen politischen
Systemen liegen, denn in Demokratien stellen die Bürger
höhere Anforderungen an den Staat, die dieser nur bei
entsprechend niedrigen Energiepreisen erfüllen kann
(ohne ausufernde Schulden machen zu müssen). Damit
einher geht die Tatsache, dass der gemittelte
Erdölpreis im Jahr 2009 auf eine bisher nicht bekannte
Höhe von 80.3 USD/bbl3) stieg. Falls dieser
hohe Preis tatsächlich der eigentliche Auslöser
für die starke Rezession in den ve-Ländern war,
dann wird hier eine Grenze des Wachstums sichtbar und dass
diese Grenze Länder spezifisch ist. Gleichzeitig wird
sichtbar, dass der Zusammenhang zwischen Energiepreis und
Wohlstand in beiden Richtungen gilt:
Ein
zu hoher Energiepreis führt zu weniger
Wohlstand.
Ein geringer Wohlstand ermöglicht die
Inkaufnahme eines höheren Energiepreises.
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Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass diese
Aussagen über das hinausgehen, was sich aus den
Berechnungen in Kap.
2.1 schließen ließ: Ein negatives
Wohlstandswachstum ist nicht möglich, wenn die
vollwertige Geldmenge Gv
allein das Maß für den Wohlstand ist. Falls auch
diese Aussage weiterhin gilt, denn entspricht einem
negativen Wachstum die Vernichtung von virtuellem Wohlstand,
der reale Wohlstand bleibt von derartigen "Krisen" relativ
unberührt. Das eigentliche Problem resultiert aus der
Verteilung dieses realen Wohlstands, sowohl innerhalb
staatlicher Grenzen, wie auch global, also von der Frage,
wer am stärksten unter der Vernichtung virtuellen
Wohlstands leidet.
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1) Der
Grund, dass für diese Berechnungen nicht gleitende
Mittelwerte verwendet werden, ist, dass dann alle Daten bis
einschließlich 2010 erfasst werden können.
2) Die Werte von waren
schwach negativ, also ist der reale Ölpreis
während dieser Zeit sogar leicht gesunken.
3) Gemessen im USD-Wert von 2005.
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