Nachhaltigkeit und Entropie




Ergänzungen:
Mitte 2013:
Erneuerbare Energien





Die Abhängigkeit der Nachhaltigkeit von der Entropieproduktion ist auch deshalb so umstritten, weil nachhaltiges Handeln meistens dahingehend interpretiert wird, dass durch dieses Handeln kein Wohlstandsverlust eintritt. Denn das Ziel wirtschaftlichen Handelns ist die Wohlstandsoptimierung im weitesten Sinne, also ein möglichst angenehmes Leben mit hohem Standard, ein Begriff, der sich  physikalisch nicht quantifizieren lässt. Eine Größe, welche "angenehmes Leben" wohl am besten charakterisiert, ist das Bruttoinlandprodukt BIP pro Einwohner, also die Geldmenge, die jedem Einwohner aufgrund seines wirtschaftlichen Handelns im Mittel zusteht.

Wegen der damit einhergehenden Entropieproduktion entsteht ein Bedarf nach Primärenergie PEB pro Einwohner. Die Relation zwischen BIP und PEB definiert die Energieeffizienz e_e:
BIP = e_e PEB ,
(1)
d.h., je höher die Energieeffizienz, um so geringer ist der Primärenergiebedarf, um einen vorgegebenen Wohlstand zu erreichen. Also setzt nachhaltiges Handeln immer voraus, dass die Energieeffizienz optimiert wird. Und in der Tat, die Energieeffizienz der Weltwirtschaft nahm seit 1980 zu, und zwar hauptsächlich durch eine Verlagerung von Prozessen aus dem Industrie- in den Dienstleistungssektor. Nach der Optimierung sind weitergehende Überlegungen nach einer noch stärkeren und schnelleren Zunahme der Energieeffizienz reine Spekulation, von den Daten werden sie nicht unterstützt.

Der Anspruch auf stetig wachsenden Wohlstand für eine stetig wachsende Weltbevölkerung verursacht nach Gleichung (1), trotz der Zunahme von e_e, einen stetig wachsenden Primärenergiebedarf. Mithilfe der Extrapolation der Daten seit 1980 wurde in Energie2 folgende Prognose für die Mitte des 21. Jahrhunderts berechnet:
Größe der Weltbevölkerung: N = 1 · 1010
Menschen
Globaler Primärenergiebedarf PEB = 2 · 1014
kWh a-1
Die zum Erreichen des Wohlstands erforderliche Entropie entsteht bei der Wandlung von PEB in eine niederwertigere Energieform. Beim Wandlungsprozess werden im Wesentlichen 2 Teilprozesse beobachtet:
  1. Die Emission von Abwärme, welche der direkte Träger der Entropie ist.
  2. Die Emission von gasförmigen Abfallstoffen, welche in die Erdatmosphäre diffundieren und damit Entropie erzeugen.
Dieses sind direkte Beiträge zur menschlichen Entropieproduktion. Darüber hinaus gibt es aber auch indirekte Beiträge, welche durch eine Veränderung der Prozessumgebung, also der Biosphäre1) - insbesondere der Erdatmosphäre und Erdoberfläche - entstehen.

Direkte Entropieproduktion durch Abwärme
Als Maß der Entropiemenge, die mit der Abwärme von Energiewandlungsanlagen abgeführt wird, kann der Wirkungsgrad der Wandlung herangezogen werden. Für existieren maximale Werte, die sich aus den physikalischen Grundlagen der Wandlung ergeben. Zwar werden diese Werte in der Praxis niemals erreicht, sie lassen sich dennoch als Richtwerte für den Umfang des Eingriffs in die natürliche Entropieproduktion nutzen:
S2,a = (1 - ) PEB/T0 , T0 = 288K  ist die mittlere Erdtemperatur. (2)
Die Gleichung (2) gilt nur für die fossilen Energien, für die wichtigsten der erneuerbaren Energien (Fotovoltaik und Windkraft) müssen diese zunächst von ihren Eingangsenergien Wi in die entsprechenden Primärenergieäquivalente PEB umgewandelt werden:
PEB = Wi / i .
Außerdem geschieht der Wandlungprozess für Fotovoltaik und Windkraft nicht lokal und zeitlich fluktuierend, diese erneuerbaren Energien müssen also über lange Strecken transportiert und lange Zeiten gespeichert werden. Für die Speicherung und den Transport wird ein mittlerer Wirkungsgrad von Sp = 0.4 angenommen, so dass für den Gesamtwirkungsgrad gilt
  = spi.

Für die wichtigsten Wandlungsprozesse in elektrische Energie als Endenergie sind die physikalischen Werte von und der Umfang x = S2,a/Shum des Eingriffs in der Tabelle unten angegeben. Zur Berechnung werden die prognostizierten Daten für die Mitte des 21. Jahrhunderts verwendet, welche oben angegeben sind:

Bemerkungen zu der Tabelle rechts:

GuD-Kraftwerk: i = Carnot'scher Wirkungsgrad für
T = 1000 oC (1273 K).
Wasserkraft: i = maximaler Wirkungsgrad von Wasserturbinen.
Windkraft: i = aerodynamischer Grenzwert (Betzlimit).
Fotovoltaik: i = maximaler Wirkungsgrad aufgrund der Bandlücke in Halbleitern.
Biomasse: i = Exergiewirkungsgrad, vermindert wegen notwendiger Wasserverdampfung (siehe Extrakapitel)


x

konventionelle Energien
GuD-Kraftwerk           
0.77
5.3%

erneuerbare Energien
Wasserkraft2)
0.85
4.1%
Windkraft
0.24
73%
Fotovoltaik
0.12
170%
Biomasse2)
0.17
113%
Physikalischer Wirkungsgrad und relativer Eingriff x
 in die Umwelt für verschiedene Wandlungsprozesse von
Primärenergie in elektrische Energie.


Das wichtige Ergebnis dieser Gegenüberstellung ist, dass erneuerbare Energie eben nicht unsere Umwelt schonen. Dass ihr Einfluss bisher unbemerkt blieb, liegt an der Vorrangstellung der Wasserkraft und daran, dass alle anderen Prozesse z.Z. noch keine große Rolle spielen. Erst bei der energetischen Nutzung der Biomasse wird der Öffentlichkeit langsam bewusst, mit welchen Problemen sie sich konfrontiert sieht. Und wie bereits erwähnt: Die in der Tabelle angegebenen x-Werte sind wahrscheinlich zu optimistisch, in der Praxis können diese Werte um mehr als einen Faktor 2 überschritten werden. Die Forderung zur Nachhaltigkeit bedeutet daher insbesondere, dass die Wirkungsgrade sowohl der Wandlungsprozesse wie auch der Speicherung und des Transports ihrem physikalischen Limit so nah wie möglich kommen. Aber diese Forderung ist nicht revolutionär, an ihrer Realisierung wird seit langem gearbeitet, denn das entspricht dem menschlichen Streben nach Wohlstandsoptimierung. Und es ist nicht zu erwarten, dass eine technische Revolution plötzlich und unerwartet aus dem Nichts heraus geschieht.

Direkte Entropieproduktion durch gasförmige Abfallstoffe
Der Verbrennungsprozess von fossilen Brennstoffen produziert gasförmige Abfallstoffe, wie z.B. das Kohlendioxid CO2 oder die Stickoxide NOx. Zur Mitte des 21. Jahrhunderts werden fossile Brennstoffe größtenteils abgebaut sein, mit Ausnahme der Kohle, deren Verbrennung wir beispielhaft behandeln wollen.

Um den gesamten Primärenergiebedarf zur Mitte des 21. Jahrhunderts mithilfe der Kohle zu decken, muss der Kohleabbau zu dieser Zeit eine Größe von 33 · 109 t a-1 erreichen, das entspricht einer Menge von n = 2.8 · 1015 mol a-1 Kohle. Wird diese Kohle verbrannt, entsteht eine gleich große Menge an CO2, die anschließend in die Erdatmosphäre diffundiert, bis die CO2 Konzentration einen angenommenen Wert von 500 ppm erreicht (zur Zeit beträgt die CO2 Konzentration etwa 350 ppm, d.h. ich nehme an, dass sich die Konzentration bis dahin weiter erhöht, weil die CCS-Technologie auch in Zukunft keine Rolle spielen wird).

Mit der Diffusion verbunden ist Entropieproduktion, die sich nach der Formel für ideale Gase berechnen lässt:

(3)
wobei R = 2.31 · 10-6 kWh K-1 mol-1 die ideale Gaskonstante ist. Das Verhältnis von Anfangs- zu Endvolumen ergibt sich für die angenommenen Konzentrationen zu V/V 2000 und man erhält:
S2,b = 6.6 · 1010 kWh a-1 K-1 oder x = 2.2%.
Verglichen mit den x-Werten in der Tabelle oben ist dies der kleinste Wert, also ist der mit der Diffusion verbundene Eingriff in die Umwelt zwar nicht vernachlässigbar, aber auch nicht Besorgnis erregend.

Viel gravierender ist die Veränderung der Erdtemperatur aufgrund der Konzentrationsveränderungen in der Erdatmosphäre.
 
Indirekte Entropieproduktion durch gasförmige Abfallstoffe
Abfallstoffe in der Erdatmosphäre haben zwar nur einen geringen Einfluss auf die antropogene Entropieproduktion, aber sie verändern das Abstrahlungsverhalten der Erde und damit deren Fähigkeit, die produzierte Entropie abzustrahlen. Der Effekt auf Smax lässt sich mithilfe der Definitionsgleichung Smax I/T0 leicht berechnen:
S2,c = Smax = - T0/T0 Smax
(4)
Nehmen wir an, dass die mittlere Erdtemperatur bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts um T0 = 1 K angestiegen ist, so bedeutet dies ein Abstrahlungsverlust von
 S2,c = - 1.1 · 1013 kWh a-1 K-1 oder x - 350%.
Mit anderen Worten: Die Nutzung der fossil biogenen Brennstoffe erhöht auf der einen Seite die Entropieproduktion (siehe Tabelle oben), verringert aber durch die CO2 Emissionen gleichzeitig die Fähigkeit der Erde zur Entropieabstrahlung, so dass der augenblickliche Zustand der Biosphäre instabil werden muss und sich ein neuer Zustand einstellen wird. Niemand kann voraussagen, wie dieser Zustand aussehen wird und ob er weiterhin menschliches Leben ermöglicht.

Dieser Fall tritt natürlich nur dann ein, wenn gasförmige Abfallstoffe in solchen Mengen in die Erdatmosphäre gelangen wie angenommen. Ziel nachhaltigen Handelns muss sein, Emissionen in diesem Umfang zu vermeiden, und dies ist wohl auch kein Streitthema. Der Streit entsteht über den besten Weg, auf dem sich dieses Ziel erreichen lässt. Der Weg über erneuerbare Energie ist, betrachtet man die x-Werte in der Tabelle oben, sehr fragwürdig, ganz abgesehen von den vielen anderen Hindernissen, die sich in den Weg stellen, und die in Energie2 und Energie3 erläutert wurden. Die Nutzung der Kernenergie ist emissionsfrei, aber in Deutschland aufgrund der Mehrheitsmeinung nicht gangbar. Wo also sieht diese Mehrheit einen gangbaren Weg? Zu vermuten ist, dass sie der Natur vertraut und damit den Weg wählt, der am Ende des Kap. 5.1 skizziert wurde.


1) Derartige Veränderungen ergeben sich z.B. aus der Umwidmung von großen Regenwaldgebieten zu Energieplantagen, dem Abschmelzen der Eisflächen oder der Belegung von großen Landflächen mit Fotovoltaikmodulen.
2) Mit Sp = 1, also unter der Annahme, dass diese Energien nicht gespeichert und transportiert werden müssen.